Rede zum Haushaltsentwurf 2022 der Stadt Kleve oder „Des Widerspenstigen Lähmung“

Vor 40 Jahren inszenierte Peter Zadek in Berlin an der Freien Volksbühne eine verunglückte Rückkehr zu Shakespeares Komödie unter dem Titel ‚Des Widerspenstigen Lähmung‘. An diese Inszenierung fühle ich mich erinnert, wenn ich mich mit dem Haushalt auseinandersetze. Dieser Haushalt ist fiskalisch stimmig und akzeptabel, aber er bildet nur bedingt den sehr widersprüchlichen Charakter der derzeitigen Kommunalpolitik unserer Stadt ab. Das, was ich als das Widerspenstige verstehe. Das vorherrschende emotionale Unterfutter dieses Zahlenwerkes möchte ich als Lähmung bezeichnen.

Beispielhafte Positionen im Etat 2021, die nicht ausgegeben wurden: Wenn ich nur die Bereiche Radverkehr, Barrierefreiheit und Stadtentwicklung nehme, wurde im Etat 2021 ein Budgetansatz von 559.000 € eingeplant. Das nicht ausgegebene Geld aus dem Jahr 2020 betrug 445.810 €. Also betrug der fortgeschriebene Ansatz in diesem Jahr über eine Million Euro. Davon wurde die Hälfte ausgegeben und die andere Hälfte für 2022 mitgenommen sowie weitere Mittel in Höhe von 376.000 € berücksichtigt.

Dr. Hedwig Meyer-Wilmes, Fraktionsvorsitzende BÜNDNIS 90/GRÜNE im Klever Stadtrat

Die höchsten nicht ausgegebenen Posten finden wir übrigens bei der Fortführung städtebaulicher Planung und bei den Planungskosten und Einzelmaßnahmen für Radwege. Völlig unverständlich, wenn man bedenkt, wie viele Anträge zu Einzelmaßnahmen zum Thema Radwege in diesem Jahr das erste Mal aus allen Fraktionen gekommen sind.

Das Gleiche trifft für die Stadtentwicklung zu: in den letzten vier Jahren wurden immer wieder Anträge zur Aktualisierung des Stadtentwicklungskonzeptes von 2009 gestellt, welches eine hohe Dringlichkeit hat, was die schon verplante Bebauung am Bahnhof sowie die auf dem Bensdorp- und XOX-Gelände betrifft. Die Kämmerei stellt das Geld in den Etat, auch für nächstes Jahr wieder, aber die dafür verantwortliche Verwaltungsabteilung kommt dem nicht nach. Die Fraktionen laden einen Stadtplaner aus Dortmund ein, um Drive in die Stadtplanung am Bahnhof zu kriegen, aber inzwischen diskutieren wir Einzelprojekte von Investoren und Stadt und die Flächen sind verplant. Noch unverständlicher wird dieses Vorgehen, wenn wir uns an das Handlungskonzept „Wohnen für die Stadt Kleve“ vom 21.03.19 erinnern: Hier wird auf die Initiative ‚Bauland an der Schiene‘ verwiesen und auf die bereitgestellten Förderungen für städtebauliche Rahmenplanungen für alle Flächen über 1 ha (vgl. S. 37). Wir lassen all dieses Geld liegen!


Konzepte versus viele Anträge?
Die Verwaltung hat sich in diesem Jahr oft darüber beklagt, dass der Rat sie nicht mit einer Vielzahl von Anträgen überhäufen solle. Vorhandene Konzepte müssten erst einmal umgesetzt werden! Nun gibt es im Ratssystem über tausend Fundstellen zu Konzepten. Und die Mitglieder im Ausschuss für Generationen und Gleichstellung werden bemerkt haben, dass unsere Fraktion die Einzelmaßnahmen aus dem Konzept Barrierefreie Innenstadt von 2016 in die Diskussion bringt. Auch die interfraktionellen Anträge aus dem AKUN zum Wassermanagement, zur Entwicklung des Tiergartens und der Biologischen Vielfalt haben einen Bezug zum Klimaschutzfahrplan 2014. Aber was wurde im letzten HFA deutlich? 32 Anträge, die zu 90% in die Fachausschüsse verwiesen wurden. Vier Anträge sind zum jetzigen Zeitpunkt haushaltsrelevant. Für uns ein sehr widersprüchliches Vorgehen, weil erst die Verwaltung ihre Einschätzung gab, eine inhaltliche Diskussion aus Zeitgründen kaum möglich war und sie dann in die Ausschüsse gingen, egal ob sinnvoll oder nicht. Und die wirklich drängenden Punkte auf der Tagesordnung wurden nur gestreift. Das ist eine völlige Verkehrung der parlamentarischen kommunalen Demokratie. Eine unnötige Lähmung des politischen Prozesses. Der Rat ist das Entscheidungsgremium und in den Ausschüssen bildet sich in Debatten der Konsens. Gerade der Klimawandel macht deutlich: Die Überführung Kleves in ein nachhaltiges regionales Mittelzentrum, in eine klimaangepasste Kreisstadt ist eine Aufgabe, welche von allen geleistet werden muss. Und dafür können wir uns diese Art von minimalistischen Diskussionen, Prüfaufträgen noch und nöcher nicht mehr leisten. Die Fachausschüsse liefern die Entscheidungen für den Rat. Und holen sich die Expertise der Verwaltung oder von außen hinzu. Aber nicht andersherum! Die Verwaltung ist frustriert, weil sie sich mit tausend wichtigen und unwichtigen Dingen gleichzeitig beschäftigen muss. Die Stadtverordneten sind frustriert, weil ihre Anträge nicht debattiert werden. So etwas nennen die Psycholog:innen eine paralysierte (gelähmte) Double-bind-Situation! Das ist im doppelten Sinn sehr teuer für die Stadt! Wir haben Orientierungsrahmen in den diversen Konzepten, aber sie müssen auch fortgeschrieben werden. Wie etwa die Ergänzung um den Sektor Landwirtschaft im jetzigen Klimaschutzfahrplan oder der Umstand, dass wir jetzt eine Hochschulstadt sind, die Aufenthaltsflächen und Wohnungen für Studierende braucht im aktualisierten Stadtentwicklungskonzept.

Debatte und Prioritäten sind angesagt!
Politik und Verwaltung müssen dringend Prioritäten setzen, um sich nicht gegenseitig zu lähmen. Aber auch die Verwaltung muss die in den diversen Konzepten formulierten Maßnahmen selbstverständlicher umsetzen, egal ob es um Bauleitplanungen unter Klimaschutzgesichtspunkten, Barrierefreiheit oder Stadtplanung geht. Es geht auch nicht an, dass wir bei wichtigen Verkehrsmaßnahmen immer wieder ausgebremst oder vertröstet werden (z.B. Fahrradgarage unter dem Rathaus, Taktiles Leitsystem, Verkehrsberuhigung, Aufzug von der Stadthalle zur Burg), weil das Mobili-tätskonzept noch abgewartet werden muss. Es ist trotz vielfacher Beantragungen von Einzelmaßnahmen immer noch nicht möglich, sicher von der Ober- in die Unterstadt zu gelangen und wieder hinaus. Unser Antrag von vor einem Jahr, die Ortsteile sternenförmig mit der Innenstadt zu verbinden, bleibt liegen. Und an den Ortsausgang- und Eingangsschildern steht: Kleve ist eine fahrradfreundliche Stadt!

Neuer Produktbereich 64 (Klimaschutz, Umwelt und Nachhaltigkeit)
Beim Klimaschutz wird besonders deutlich, dass wir uns so großzügige Zeitschienen wie bisher nicht mehr leisten können. Wir können nicht mehr zehn Jahre auf die Umsetzung warten. Dankenswerterweise sind die Klimaschutzmaßnahmen im Haushalt – auf unsere Bitte im letzten Jahr hin – jetzt auch gesondert aufgeführt (S. 285-298).

Dank der durch den Bürgermeister vorgenommenen Umstrukturierung der Bauabteilung und zusätzlicher Stellen kommt die ‚neue‘ Abteilung auf 5,7 Stellen. Obwohl diese Abteilung seit Juli arbeitet, konnte sie bisher weder dem Fachausschuss noch dem Rat vorgestellt werden. Die Kämmerei hat diverse Maßnahmen in den Haushalt gestellt: Obstbauarboretum (Förderung vom Bund ca. 150.000 €), Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen des Radwegekonzeptes (28.000 €), für das Konzept selbst 50.000 €, Erhalt des Spoykanals (25.000 € mit Hochschule), Stadtklimaanalyse (50.000 €), Konzept zur Klimaanpassung (70.000 €), um nur einige zu nennen.

Hier wird sich zeigen, ob zeitnah die Stelle eines Landschaftsplaners besetzt werden kann und wie die Abteilung zusammenarbeitet. Kalkulatorisch ist deutlich, dass unser Klimaschutzmanager eine wichtige Position innehat, aber das muss sich auch in der Struktur dieses Bereiches zeigen. Die Bedeutung dieser Fachabteilung zeigt sich an der Stärke und Expertise ihres Personals als auch an der innenadministrativen Verankerung.

Zum Schluss möchte ich mich im Namen unserer Fraktion beim Bürgermeister und allen Verwaltungsmitarbeiter:innen bedanken. Und nicht verhehlen, dass es sehr viele engagierte Mitarbeiter:innen gibt. Dafür Dank!

In Shakespeares Frühwerk „Der Widerspenstigen Zähmung“ streiten sich die beiden Hauptpersonen Petruchio und Katharina in einer Szene darüber, ob gerade der Mond oder die Sonne scheint (IV.5, 1-22). Dieser Streit/Debatte über die beiden himmlischen Beleuchtungskörper hat ihrem Zusammenkommen keineswegs geschadet.